Wie man mit Wahlplakaten Geschichten erzählt… und Albträume bereitet

Wahlplakate sind reale Pop-Up-Werbung. Aus dem Nichts sind sie wieder einmal aufgetaucht. Sechs Wochen vor dem 14. Mai und damit pünktlich am ersten April (welch ironisches Spiel des Kalenders) wurden die Laternen in meinem Städtchen mit diesen bunten Bildern bestückt.

Mein Veedel ist aktuell ein echter Plakatdschungel. Alle paar Meter hängt so ein Pappding mit entsprechenden -nasen. Leider sind die meisten zwar bunt, aber gar nicht fröhlich karnevalesque, sondern erzählen düstere Visionen über die sonnige Welt, in der sie hängen.

FDP_Plakat_NRW2017_DigitaleSchuleGanz vorne beim Wahlkampfplakate-Trauerspiel ist die FDP. Da guckt z. B. Christian Lindner so desillusioniert und schockiert ins Leere, dass ihm sämtliche Farbe aus dem Motiv gerutscht ist und drunter steht: „Das Digitalste in der Schule dürfen nicht die Pausen sein.“ Bisher hörte ich immer, in Schulen gäbe es gar keine Digitalisierung. Nun las ich, während mich Christian Lindner mit seiner Depression anzustecken drohte, dass es nicht nur Digitales, sondern sogar das Digitalste in Schulen gibt. Mega! ‚Ja, dann macht doch mehr von diesen digitalsten Pausen’, dachte ich also! Die Balance zwischen Pause und Lehrstunde fand ich schon als Kind immer völlig verschoben.

 

FDP_Plakat_NRW2017_PendlerNoch trauriger war der arme Christian ein paar Meter weiter: Unterwegs im Auto, immer noch in Schwarz-Weiß und immer noch ziemlich depri. Eine Szene aus einem Hitchcock-Film. Aber statt seinem sicheren Tod entgegen, fährt der ärmste zur Arbeit. Das ist bitter. Arbeit darf ja keinen Spaß machen und auf dem Weg dahin regnet es IMMER, wie das Bild zeigt. Das ist traurig. Noch trauriger ist aber, was helfen soll: Frühaufstehen! Aus eigener Erfahrung als Frühaufsteh-Gegnerin weiß ich, dass Frühaufstehen zu mehr Konflikten als Lösungen führt. Und an solchen düsteren Tagen, wie auf dem FDP-Wahlplakat sollte man am besten ganz im Bett bleiben!

 

Gründen_Plakat_NRW2017_FreiheitGrünen_Plakat_NRW2017_Umwelt

Eine Straße weiter versuchen mich die Grünen mit fröhlich strahlenden Motiven aus dem Film Noir zu reißen, der sich in meinem Kopf abspielt. Die Aufheiterung ist nötig. Aber statt Fröhlichkeit geht mir nur durch den Kopf: Hääähh? Erstens, Zweitens… und dann? Soll das eine Kausalkette sein? Passte kein dritter Aufzählungspunkt mehr auf die Fläche? Umwelt, Freiheit, ja, … hmmm. Aha. Ja, versteh ich nicht. Aber die Farben mag ich. Ich geh dann aber mal weiter.

 

SPD_Plakat_NRW2017_HanneloreKraftSPD_Plakat_NRW2017Und da hing dann Hannelore Kraft, die sich auch nicht sicher schien, ob sie lächeln sollte oder nicht, womöglich ebenfalls von den Lindnerschen 50-Shades-of-Grey traumatisiert. Ein bisschen weiter zeigte mir die SPD dann noch einen Opa im 80er-Jahre-Jogging-Kombi und drei süße Kinder. Na immerhin! Süße Kinder und süße Tiere gehen schließlich immer und trösten meine Seele.

Diese Frühlingsgefühle zerstört leider die Linke nur wenigen Meter weiter und zwingt mich zum rotsehen.  Denn da ist nun die Rede von Kindern, die Hannelore vergessen habe. Dramatisch! Unfassbar! Wo vergessen? Wie vergessen? ‚Aber der nette, schlecht gekleidete Opi ist doch bei den Kindern’, denke ich mir und schaue nochmal zurück zum SPD-Bild. Oder ist das gar kein „lieber“ Opi, sondern schon wieder so ein Brutalo-Rentner, der die Kids womöglich an den Arsch der Welt verschleppt? Denn der wird mir von der Linken einige Meter weiter angedroht. Der Arsch der Welt ist der letzte Ort an den Menschen, die in so einem netten, angesagten Viertel wohnen, erinnert werden möchte. Irgendwo da draußen gibt es diesen Arsch und immer mal wieder hört man von Menschen die dahinziehen und dann hört man nie wieder etwas von ihnen. Der Gedanke an ein Leben am Arsch der Welt ist die städtische Wählerschaft 100mal brutaler als Kriegsbilder aus Syrien und bringt ordentlich Gewitter in mein Wohlstands-Wölkchen. Damit ist es zu viel für mich.

 

Bevor ich mich noch an den Arsch der Welt verlaufe, flüchte ich darum lieber aus dem Plakatwald, zurück ins Internet, wo mich mein Werbeblocker vor derartigen Trauer- und Horrorgeschichten beschützt und es zu Haufe süße Kinder und Tiere gibt!

Neue Vox Show „Politik Queen“ – FDP versucht mit pinken Accessoires die maximale Punkteanzahl zu holen

„Ditt hätt isch dir auch mit Paint machen können, für’n Zwanni,“ werden nicht wenige Betrachter des neuen FDP-Logos dieser Tage sagen. Denn es ist enthüllt. Und mein Nacken tut vom Kopf skeptisch nach links und rechts legen inzwischen weh. Ich weiß einfach nicht wohin die, die sich bis dato Liberale nannten, sich nun aber Freie Demokraten auf‘s wehende Fähnchen schreiben, hin wollen. Vielleicht zu Zielgruppen, die keine fremdwortartigen Begriffe mögen?  So steht nun Blindtext statt Lorem Ipsum auf der Parteirepräsentanz.

Aber bevor man meckert, muss man sich ja eigentlich fragen,

  1. was die FDP mit einem neuen Logo hätte richtig machen können und
  2. was dabei offensichtlich alles falsch lief.

Die Antworten: a) nix und b) Schulterzucken. Wir waren schließlich nicht dabei.

Sprechen wir also lieber über a) und den damit verbundenen Allglauben an die Kraft neuer Logos. Spiegel Online untertitelt „Mit der frischen Optik wollen die Liberalen 15 Monate nach dem Bundestags-Rauswurf moderner und sympathischer wirken.“

Es ist doch wunderbar anzunehmen, dass sich mit einem Rebranding einfach die verbrannte Erde unter den Teppich kehren lässt, während man im Anschluss den Bodenbelag raus reißt und austauscht. Oder ist dies das gesamtsoziale Äquivalent zur Midlife-Crisis, in der man sich unter Einsatz neuer D-Körbchen oberflächlich eine Jugendlichkeit zurückholt, die man vor 20 Jahren gar nicht hatte? So oder so, ich fürchte ein bisschen rosa Lipgloss reicht für eine neue FDP nicht aus, aber das Make-Over scheint ja erst in seinen Anfängen.

Ich bin gespannt auf die große Vorher-Nachher-Show. Die sehe ich beim mentalen Zappen bereits im Nachmittagsprogramm bei Vox. Im rosa Shopping-Queen Bus fahren die Parteivorsitzenden durch die Welt und suchen nach einem passenden Outfit zum Thema: „Modern und sympathisch – Erfinde deine politische Identität neu und sei damit der Hingucker bei der nächsten Landtagswahl“. Dazu wird Maybrit Illner  von der Seite visuell eingeschossen und kommentiert die Versuche, wie dieser Zeit Guido Maria. Und die Protagonist_innen der Show rennen hektisch umher und schreien: „Haben wir noch Zeit? Wie viel Geld haben wir noch?“

Auch bin ich höchst gespannt, wie viele Punkte die FDP mit dem Magenta Logo Accessoire holen kann und ob ihnen nach dieser Anschaffung noch genug Geld für’s Styling bleibt. Ich bleibe dran und genieße die Werbung.