Mamawerden ist ein Change Prozess

Wir suchen ein neues Bild für unsere Mama Meeting Home. Das derzeitige Bild war als Platzhalter gedacht und weilt nun schon zu lange an dieser exponierten Position. Doch ein gutes Mamabild zu finden ist sau schwer. Für jedes Vorurteil, das man zum Muttersein im Internet verbildlicht findet, fehlen fünf Schwangeren die Köpfe. What? Ja. Ich sag’s nochmal, in anderen Worten: Im Netz werden Schwangere reihenweise enthauptet. Die Täter: Der böse Bildausschnitt. Mögliche Mittäter: Photoshop und Co.
Mit Mama Meeting wollen wir starken, ambitionierten Frauen Möglichkeiten bieten an der Verwirklichung ihrer Träume zu arbeiten. Das kann der Einstieg in den Traumjob sein, die Gründung eines Unternehmens oder einfach eine entspannte Work-Life-Balance.
Je tiefer ich mich nun aber durch die Bilddatenbanken dieser digitalen Welt klicke, desto mehr schreien mir die Bildbotschaften zu: „Du bist kein Mensch mehr, sondern nur noch Bauch oder Baby!“ Ich sehe überall Bäuche und Arme, die Kinder halten, aber selten Köpfe. Vom Hals aufwärts sind die Damen auf den Bildern guillotiniert, wie das französische Adelshaus 1789. Dabei handelt es sich nicht um einen Klassenkampf. Bei den kostenlosen Datenbanken ist die Bandbreite der reinen Bäuche genauso beschämend, wie bei den teuersten für High Quality Werbebilder.
Das ist ziemlich scheiße. Nicht nur für meine Suche nach einem neuen Bild für unsere Homepage. Sondern auch gesamtsozial. Denn, wenn immer es nun um Schwangere oder Mütter im Netz geht, sieht man nur einen kleinen Teil von ihnen. Und den dann auch noch in überhöht ästhetisierter Darstellung als Superbabybauch.
Ein Lichtblick zum Schluss: Ich habe nun den Fehler gefunden. Er liegt natürlich bei mir. Ich habe einfach die falschen Suchbegriffe eingegeben. Denn Suche ich nach Vätern, finde ich ganz viele Köpfe, Gesichter, verschiedene Situationen: Freizeit, Arbeit, Urlaub, das Leben in all seinen Facetten.
Ich bin gerne Mutter, aber langsam reicht mir der Babybullshit. Ich kann den Singsang nicht mehr ertragen. Das immer gleiche Spiel, der stets tröge Smalltalk, die Komplitzenschaft aufbauenden Komplimente und das Pseudo-Netzwerken. Eine Diskussion als Teufelskreis:
„Wie alt ist er/sie?“ Ich möchte hinzufügen „es“, denn in vielen Fällen kann man sich dem Geschlecht eines Babys nicht über primäre visuelle Marker annähern. Rosa oder blaue Kleidung torpediert die Parolen des Feminismus, ist aber auf einem Spielplatz eine super Sache. Denn Mama will ja nicht, dass ihr Kind verkannt wird, nicht in seinem Geschlecht, noch in seinen Talenten. So folgt dann auf die Frage nach dem Alter eine Anerkennung der Fähigkeiten des kleinen Gefährten. „Der läuft ja schon toll!“, kann auch wahlweise ersetzt werden mit krabbelt, robbt, spielt im Sand, hält die Schippe, lächelt oder was einem gerade auffällt. Erscheint das Kind völlig unbegabt, ist da gottseidank immer noch die Kleidung, über die man Nettigkeiten los werden kann. Ist selbst da nix zu zusagen, lässt man einfach ein „Der/die/(das) ist ja zuckersüß!“ fallen. Geht immer, selbst bei den hässlichsten Blagen. Warum man das macht? Das frage ich mich auch. Jeden Tag in Kindercafes, auf Spielplätzen und in den unzähligen Frühkindlichen Förderkursen, die ich mit meinem Sohn besuche, um aus dem Haus zu kommen. Das war und ist der Modus Operandi dieser Milieus, ist meine These. Denn ich erfahre das nicht nur, sondern beobachte es auch. Am Nebentisch und an der Rutsche findet tagtäglich genau dieses Annäherungsritual zwischen zwei sich fremden Müttern statt. Ich sage „Mütter“ inkludierte in diesem Begriff auch alle Väter, denn die spielen da genauso mit.
Hat man diese Hürde genommen und sich als Mamas kennen gelernt, geht es intellektuell leider nur weiter bergab. Das liegt nicht daran, dass die Frauen so dumm wären, aber scheinbar wird man nach einer Geburt verbal unkreativ. Denn mit den Damen, die ich als „Dem Jona seine Mama“ und „Mama von Lisabeth“ in mein Handy einspeichere, sprach ich über Wochen ausschließlich über Babybullshit. In diese Kategorie fallen in chronologischer Reihenfolge: Stillerfahrungen, dann Beikosterfahrungen, dann Entwicklungsschritte (Rollen, Robben, Krabbeln, Laufen, Sprechen) und schließlich die katastrophale Betreuungssituation in der Großstadt. Da letzteres ja fast als Diskussion zu politischen Themen zählt, könnte man hoffen, nun ging doch noch auf über den Kindertellerrand. Doch die Lage scheint in Köln so mau, dass wir Mamas unter uns nur darüber meckern können. Ein Kontinuum aus „Oh, wie toll“ und „Ach, wie schlimm“ bildet die Bandbreite der Unterhaltungen, denen ich lieber entgehen will.
Leider sabotiert mein Nachwuchs Versuche den Müttern dieser Welt auszuweichen. An jedem Spielplatz fängt er an zu weinen und zu toben. Er will auf die Schaukel oder die Rutsche oder einfach jemandem seinen Ball klauen. Das will ich auch lieber tun. Stattdessen stehe ich hinter ihm, schubse in an und antwortet: „13 Monate. Ja, er hat schon früh mit dem Laufen angefangen. Ach die Hose, die haben wir geschenkt bekommen. Nein, wir haben noch keinen Kita-Platz, aber vielleicht was bei einer Tagesmutter in Aussicht. Ja, es ist echt furchtbar. Ich kenne auch keinen, der bei den Städtischen was bekommen hat.“
An den meisten Orten der Großstadt kann man sich aufhalten, ohne mit anderen Menschen interagieren zu müssen, selbst, wenn man sich ganz nah ist, z.B. in Fahrstühlen. Das ist einer der Hauptgründe, warum ich hier lebe. Je näher sich Menschen sind, desto weniger scheinen sie miteinander kommunizieren zu wollen. Doch auf Spielplätzen scheint die Verhaltensbiologie auszusetzen. Hier wird man immer angequatscht und dann geht’s wieder los: „Wie alt ist er/sie/(es)?“… Ich glaube es liegt nicht an den Müttern, ich mache das ja auch. Ich mache da ja auch mit. Nagut, ein bisschen liegt es dann vielleicht an mir. Aber es reicht. Darum habe ich mit einer Freundin einen Babykurs zur frühmütterlichen Förderung ins Leben gerufen: Mama Meeting.
Regel Nr. Eins des Mama Meetings: Es wird nicht über Kinder gesprochen.
Regel Nr. Zwei des Mama Meetings: Es wird wirklich nicht über Kinder gesprochen, egal was Dein Kind kann, gegessen oder gerade ausgeschieden hat.
Regel Nr. Drei: Zu jedem zweiten Mama Meeting gibt’s Wein oder ähnliches. Dann muss ich den nicht mehr im Bio-Wiederverwendbaren-Bambus-Supermom-To-Go-Becher auf den Spielplatz schmuggeln.
In meiner Facebook-Timeline taucht ein Hinweis zu einer Krabbelgruppe ab 3 Monate auf. Darunter ein Kommentar: „Welche Rabeneltern schieben ihr 3 Monate altes Baby ab?“ Wenn man das in dem Kurs wirklich könnte, wäre der Kurs vielleicht noch überbuchter als sowieso schon. Kurz darauf taucht in meinem Newsfeed ein Artikel auf, in dem ein Psychologe erklärt, Eltern würden ihre Kinder in Zeiten der Digitalisierung mehr verhätscheln als je zuvor. Denn um den Blick nicht zu lange vom Handydisplay abzuwenden, erhielten die Kleinen schon nach kurzem Quengeln was immer sie wollten. Ich hörte nun, dass es Eltern gibt, die überlegen, sich statt einem zweiten Kind lieber einen Secondscreen anzuschaffen.
Offensichtlich ist die Welt voll von Mütter und Väter, die als schwarze Vögel oder Helikopter über ihren Babys kreisen. Während ich mich also naiv darüber freue, dass mein Schatz täglich neues entdeckt (gestern waren es seine Zehen! Spektakulär!), muss ich zusehen, wie die Liste der Dinge, die ich falsch mache schneller wächst als mein Sohn.
Das wäre noch okay, wenn es sich bei dieser Erfahrung um eine rein digitale handelte. Denn im Internet ist bekanntlich alles 100mal lauter als auf der Straße. Im Netz ist jeder Fehltritt gleich ein Verbrechen und eine Horde von pöbelnden Laienrichtern steht twentyfour-seven bereit, um eine öffentliche Exekution durchzuführen, gegen die die französische Revolution wie eine Bergische Kaffeetafel aussieht.
Das schöne war bisher: Schaut man doch auf vom Display, gucken alle anderen schnell peinlich berührt zu Boden. ABER NICHT, wenn man ein Baby dabeihat! Auf einmal starren mich Menschen länger an, als die in der Großstadt tolerierten 2 Sekunden oder sprechen mich sogar an!!! Diese sozialen Interaktionen wären vielleicht, ganz vielleicht ganz nett, wenn nicht immer irgendwelche Ratschläge nach den obligatorischen drei Fragen nach Geschlecht, Alter und Gewicht kämen. Scheinbar gibt es (noch) keine Small-Talk-Regeln für die Ansprache von Müttern. Dem kann ich gerne Abhilfe schaffen:
Regel Nr. 1 – Wenn du den Blick nicht von mir und meinem Baby lassen kannst, lächle wenigstens dabei. Vielleicht lächeln wir zurück und der Tag ist für uns alle ein bisschen sonniger geworden.
Regel Nr. 2 – Wenn du nicht anders kannst, als uns anzusprechen, sag etwas Nettes. Wir mögen Komplimente; beide.
Regel Nr. 3 – Wenn das Baby im Kinderwagen liegt, sag mir nicht, ich würde mein Kind vernachlässigen, weil es so weit von von meinem Körper weg ist.
Regel Nr. 4 – Wenn das Baby in der Trage sitzt, erzähl mir nicht, ich würde mein Baby verhätscheln und es wollte dann für IMMER auf den Arm, bis er 18 ist.
Regel Nr. 5 – Wenn du danach fragst, wie lange mein Baby schläft, mach dich darauf gefasst, auch über deine Schlafgewohnheiten ausgefragt zu werden? „Wie schläfst du denn so? Wie lange? In welcher Position? In was für einer Art Bett? Abgedunkelt oder bei Tageslicht? Mit was für einer Decke? Aha, aha, aha.“ Egal, was du antwortest, ich werde dann sagen: „Oh, das ist aber ganz, ganz schlecht! Ganz ungesund!“
Regel Nr. 6 – Fass das Baby nicht an. Es kann zwar noch nicht beißen, ich aber schon.
Regel Nr. 7 – Wenn mein Baby plötzlich in der Öffentlichkeit schreit, guck mich nicht so an, als läge es an mir. Viel wahrscheinlicher ist, dass es an dir liegt.
Ich dachte immer, meine Brust in der Öffentlichkeit zu entblößen würde sich seltsam anfühlen. Viel komischer kommen mir jetzt die Unterhaltungen, die ich darüber führen muss, vor.
„Stillen Sie?“, fragte mich eine weißhaarige, kleine und nette Dame an der Käsetheke neben mir. Auch die Verkäuferin beim Bäcker wollte wissen, ob ich meinem Kind die Brust gebe, bevor sie das Brot rüberreichte. Schon vor der Geburt erkundigte sich ein Freund, ob ich vorhabe zu stillen und selbst die Nachbarin meiner Eltern interessierte sich für die Ernährung meines Babys. „Stillst du?“, scheint das neue „Hallo“ zu sein, seit ich ein Kind dabeihabe.
Würde man mich damit konfrontieren, wenn mir gerade der Busen aus dem Shirt hängt, wäre es ja okay. Dann wäre es eine freundliche Nachfrage in Richtung: „Haben sie nicht was vergessen? Haben sie mit der Brust noch was vor heute oder hängt die da nur so?“ Ob ich gerade stille und nicht gestört werden möchte, wäre auch noch passabel. Aber sich während der Kleine im Kinderwagen liegt und schlummert zu erkundigen, was ich so den Tag über mit meinen Titten tue, überschreitet die Grenze zu meiner Intimsphäre.
Die Nachfragen allein wären vielleicht noch zu ertragen, hätte sie nicht eine implizierte Aufforderung und folgte nicht IMMER die Belehrungen, wie gut Muttermilch sei, dass es das allerallerbesteste für’s Baby ist und JAJAJAJAJAJA…. weiß ich alles, habe ich alles vorher schon gehört und 1000 mal gelesen. Wenn man 10 Monate Schwanger war, dann ist dieses Thema nicht gerade Big News. Dann hat man schon parallel zum Wehenabständemessen, ausgerechnet wie viele Portionen Eis und Gummibärchen man dank Stillernährung zukünftig extra essen kann (- fünf Kugeln oder eine Tüte, mindestens…wenn das Kind viel trinkt sogar noch mehr. Yeah!). Dann findet man Stillen längst selbst super, weil man auf einmal doppelt soviel Holz vor der Hütte hat, wie zuvor, weil man im Bett liegen und abnehmen kann, weil man keine Fläschchen spülen muss und weil man, solange man das Baby nicht zu Hause vergisst, für sein Wohl eigentlich schon alles eingepackt hat. Zur Sicherheit schaue ich bei jedem Aus-dem-Haus-gehen, aber nochmal nach, ob die Brüste wirklich da sind.
Wir sind uns also alle einig, dass Stillen super ist. Warum muss ich mich der Frage dann ständig wieder stellen? Weil es in dieser neuen Welt, in der ich mich nun bewege, der Welt als Mutter, nur schwarz und weiß gibt, nur richtig oder falsch. Es ist nur ein schmaler Grad zum Rabenmuttertum und wer sein Kind nur in die Nähe einer Flasche bringt, als handele es sich um einen trockenen Alkoholiker statt eines Neugeborenen, der steht schon mit einem Fuß auf der dunklen Seite.
Der Druck zur Brust ist nur eins der Dogmen, die mir derzeit begegnen. Über Schnuller reden wir ein andermal und das Fass über’s Impfen machen wir lieber gar nicht erst hier auf. Aber es ist sehr seltsam, dass so viele Babys zu gesunden Erwachsenen Menschen werden, die ihre Zeit dann mit Diskussionen über’s Stillen verschwenden können, wenn man doch so leicht alles falsch macht als Mutter.
Mein Baby ist da. Glücklicherweise schon seit vier Wochen. Ansonsten wäre ich doch sehr drüber gewesen und geplatzt. Und seit er da ist, gucke ich öfter auf’s Baby als auf’s Handy. Währenddessen schwanke ich zwischen „Du bist ja sooooo süß!“ und „Könntest du doch bitte schnell mal sprechen lernen!“ hin und her. Denn ganz ehrlich, menschlicher Nachwuchs ist toll, aber kommt mit SEHR eingeschränkten Features.
Wie Iphones kommen Babys beispielsweise alle mit dem gleichen Klingelton. Kaum erklingen diese „Geräusche“, schauen sich alle Mütter in der Nähe um und sind dann erleichtert, wenn sie merken, dass nicht das eigene Kind diesen Lärm produziert. „Diesmal muss ich nicht rangehen“, denkt man dann beruhigt. Das Iphone hat dem Baby allerdings die Lautstärke-Regelung voraus; und den Vibrationsalarm. Damit steht es 1:0 für Apple vs. Evolution. Aber der Akku vom Baby hält viel länger, selbst wenn es mehrere Stunden auf voller Lautstärke spielt. Damit steht es wieder 1:1.
In Führung bei diesem Vergleich geht das Baby dann schließlich, weil man sich die Suche nach Steckdosen zum Aufladen spart. Ja gut, man muss schon wissen, wo die mobilen Powerbanks für’s Kind bei der Mutter sind: In der Regel oberhalb des Bauchnabels. (In der Regel…nicht immer.) Aber dafür klappt’s ganz kabellos und überall.
Was die Stoßsicherheit angeht, gibt’s für beide keinen Punkt. Beide Geräte sollte man lieber nicht fallen lassen.
In Sachen Reinigungen ist das Baby pflegeintensiver. Dafür sind die Mitarbeiter beim Kinderarzt netter als die Hipster im Apple Store. Aber der größte Vorteil: Man braucht nicht jedes Jahr ein neues. Das Design wächst mit. Damit gewinnt das Baby schließlich und ich widme mich ihm nun gleich wieder. Es wacht nämlich gerade auf.
Wenn Nestlé bei dir nachhakt, ob das Baby denn nun endlich da sei, weißt du, dass du echt über deinen Termin bist. Dabei ist es erst eine Woche. Nach 40 Wochen Schwangerschaft, empfinde ich das gar nicht als sooooo lang. Und als jemand, der regelmäßig auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen ist, ist mir auch eine gewisse Toleranz für Verspätung ansozialisiert.
Aber die Welt sorgt sich, ein bisschen um mich und ein bisschen um das Baby aber VOR ALLEM darum etwas zu verpassen, etwas nicht in der Sekunde, in der es passiert mitzubekommen. Egozentrisch wie ich bin, versuche ich mir dennoch weiter einzureden, es ginge nur um MICH, wenn wieder jemand eine Whatsapp mit „Naaa?“ schickt oder mir meine Schwiegermutter mir rät diesen ruhigen Tag noch zu genießen und dabei ganz beiläufig fragt, wie es mir denn so ginge. „Wie geht’s dir?“ ist aber eigentlich Code für „Geht’s schon los?“. Zu lange schwanger zu sein, ist offensichtlich nicht zeitgemäß.
Inzwischen habe ich meinen Whatsapp-Status in „Das Baby ist noch nicht da“ geändert. Das brachte kurz Ruhe. Dann kamen die Nachfragen, ob das denn noch aktuell sei. Besonders beliebt sind auch Prognosen. „Ich glaube heute kommt das Baby?“, wird zahlreich gewettet, aber immer OHNE einen Einsatz zu nennen. Die ersten Pakete Windeln wären ansonsten schon jetzt refinanziert. Oft sind die Nachfragen nett. Stressig wird es, wenn ich nicht mehr antworte und Hypothesen bei mir eingehen, ist sei doch jetzt sicher auf dem Weg ins Krankenhaus. Nein, bin ich nicht. Ich bin noch hier oder beim Sport oder schreibe oder blogge oder backe oder mache so dies und das, was ich eben so mache. Ich bin tatsächlich auch hochschwanger noch busy. Das geht auch nicht anders, das ist Teil meiner Persönlichkeit. Wenn ich aufhöre busy zu sein, wird es angebracht zu fragen, wie es mir geht.
Vielleicht wissen meine Freunde, Familie, Bekannte und die Newsletter-Verschicker bei Nestlé aber auch mehr als ich. Vielleicht hat irgendwo ein Orakel verkündet, dass dieses Baby der Messias ist, der die Lösung für Klimawandel, Krankheiten und den Umstand, dass gutes Essen zu viele Kalorien hat, mitbringt – und für alles andere, was noch so auf dem Weltrettungswunschzettel steht. Dann wäre die ganze Aufregung natürlich legitim. Und dann wäre ich schon jetzt die ignoranteste Mutter Deutschlands. Kein guter Start. Vielleicht will es deswegen nicht raus. Statt zu schreiben, zu backen oder Rückfragen dazu, ob das Baby denn nun da ist zu beantworten, trainiere ich mir also lieber mal schnell den „Mein Kind ist ein Wunderkind“-Habitus an. Hat hierfür jemand Tipps, Ideen oder Erfahrungswerte?
Der errechnete Entbindungstermin ist vorüber, aber das Baby hat keine Anstalten gemacht sich zu entbinden. Ist vielleicht auch ein bisschen viel verlangt von jemanden, an den die letzten 10 Monate lediglich die Forderung gestellt wurde, größer und dicker zu werden. Mit dem Tag an dem das Baby selbstverständlich nicht kam – weil Babys Zeiten und Kalender pupsegal sind, so wie ihnen alles, außer Brüsten, Brüllen und ihren eigenen Bedürfnissen pupsegal ist (niemand beansprucht das Konzept von pupsegal so für sich, wie Babys) – begann ich, neben den 28.945 Fragen, die man sonst so während einer Schwangerschaft googelt, nach dem Thema Einleitung zu suchen.
Dass mich ein guter Teil der Tipps, die ich fand, ins Krankenhaus bringt, davon bin ich überzeugt. Dass ich damit wirklich auf der Station für Geburtshilfe lande ist nicht ganz sicher.
Denn meinen Recherchen zu Folge ist die natürliche Geburtseinleitung ganz einfach: Ich muss nur Postkoital mit einem in Nelkenöl getränkten Tampon Treppensteigen, dabei extrem scharfes Essen mit Literweise Tee aus Zimt, Eisenkraut und Himbeerblättern runterspülen und meine Nippel reiben. Klingt machbar. Vielleicht sind die Dinge, die man sich so in die Vagina stecken soll aber auch der Grund, warum Babys bei der Geburt schreien.
Lockender klang da schon Folgendes: Die Geburt mit Kaffee anregen. Leider soll man das Aufputschmittel aber nicht trinken, sondern untenrum frei für gute 20 Minuten über aufgebrühtem Kaffee abhängen. Mir kommt dabei die Idee einer Geburt in einer mit Kaffee gefühlten Wanne. Muss es wohl schwarzer Kaffee sein oder sind Milch und Zucker erlaubt?
Doch besonders abartig fand ich folgenden Vorschlag: Fenster putzen. „Schatz, wenn du die Fenster putzt, dann kommt das Baby, du machst das also nicht für den Haushalt, sondern für dich“, höre ich Männer sagen, die dieses Gerücht ins Netz gesetzt haben. „Und wenn das nicht hilft, dann putz doch noch das Auto, mäh den Rasen und tapezier die Küche.“
Spätestens am Punkt mit dem Putzen, habe ich beschlossen, keinen der Tipps zu befolgen. Dann bleibt das Baby halt drin und rund auf dem Sofa. Liebe Krankenkasse: Der Mutterschutz geht noch eine Weile! Ihr könnt das Geld auch direkt in Schokolade schicken.
Die längste Schwangerschaft ever dauerte übrigens angeblich 13 Monate bzw. 53,3 Wochen. Kann das wirklich sein? Und wie sahen die Fenster dieser Dame aus?
Während der zehn Monate, die eine Schwangerschaft dauert, werden Schwangere zu Kriegerinnen im Kampf zwischen altbewährte Natur und moderne Technik. Denn man kann so eine Geburt und alles, was damit zu tun hat, mit nichts als Ein- und Ausatmen angehen oder das Arsenal moderner Möglichkeiten von Anfang bis Ende ausschöpfen. Beides geht. Nur dazwischen ist zu wenig Platz für einen wachsenden Bauch.
Wie, wo und wem man das neue Leben in die Arme presst, ist ein solches Thema, zu dem es 100 Meinungen gibt und wenig Toleranz. Man kann sich da nicht einfach in der neutralen Mitte verorten. Auch wer keinen Kaiserschnitt will, braucht einen Standpunkt dazu.
Ob man dem Kind Konservierungsstoffe und Industriekost gefiltert in Muttermilch via den all natural Nippeln einflößt oder direkt die emotionale Connection bei ihm herstellt, dass Trost aus Flaschen kommt, ist ein zweites Diskussionsthema, mit denen man Talkshow-Abende füllen könnte.
Doch es gibt ein Thema, da funktioniert der Natur vs. Technologie/Vergangenheit vs. Zukunft Dualismus einfach nicht, aber so richtig scheint das noch keine der Streitparteien bemerkt zu haben: Beim Plazenta Smoothie.
Wie man eine Hühnersuppe aus Huhn macht und ein Kotelett aus Antibiotika, so ist der Plazenta Smoothie ein Getränk, das aus der Nachgeburt gehäckselt wird. Dazu kommt dann noch Obst, Gemüse und Eis nach Wahl und fertig ist der Kannibalen Fitness-Drink.
Die Plazenta zu verspeisen sei eine der natürlichsten Sachen der Welt, argumentieren die Plazenta-Liebhaber. Das mag sein. Darüber kann man streiten. Das stimmt eigentlich nicht. Denn diese „Naturvölkern“ auf die bei solchen Diskussionen gerne verwiesen wird, sind eigentlich Katzen oder andere Tiere. Zu finden ist eine Häufung von menschlichen Plazenta-Esserinnen vor allem in den westlichen Nationen. So richtig vintage ist am Einverleiben des Mutterkuchens in Form von Braten, Geschnetzeltes oder Lasagne also höchstens die Zubereitungsart. Aber die Nachgeburt zu kochen, ist ja gerade total out. Ist ja auch viel zu aufwendig. Hat ja auch keiner Zeit für, nach einer Geburt. Da muss es schnell gehen. So stoße ich, insbesondere auf englischsprachigen Blogs, rund um Geburt und Schwangerschaft, immer wieder auf den angesprochenen Plazenta Smoothie. Das Wort ist schon so verrückt, dass ich es immer wieder schreiben und sagen will: Plazenta Smoothie, Plazenta Smoothie, Plazenta Smoothie. Der Schauer, der mir dabei über den Rücken huscht, wird mit jedem Mal besser.
Appetit bekomme ich aber eher nicht. Das liegt nicht einmal an der besonderen Zutat des Drinks, sondern meiner Antipathie für die absolute Abnormität der Kulinarik: Dem Smoothie als solches. An einem Smoothie ist und war noch nie etwas Natürliches! Lebensmittel, die man sowieso roh zu sich nehmen will, erstmal bei 23.000 Umdrehungen pro Minute zu zerhacken ist einfach absurd. Das von jemand anderem machen zu lassen und das Obst und Gemüse dann in Plastikflaschen zu kaufen ist es erst recht. Wer noch keine oder keine Zähne mehr hat, z.B. auf Grund von Alter oder Schlägereien, muss seine Nahrung püriert zu sich nehmen. Freiwillig auf Flüssignahrung umzusteigen ist einfach nur Ausdruck einer Gesellschaft, in der der Wohlstand ein solches Maximum erreicht hat, dass die Menschen zu faul zum Kauen geworden sind.
Und was mache ich nun? Ist es möglich, dass der Anblick meiner Nachgeburt so appetitlich ist, dass ich meinen Liebsten spontan bitte den Grill anzuwerfen? Immerhin ist es meine Plazenta und nicht irgendeine. Ich erwarte also schon einen gewissen Sex-Appeal. Vielleicht sollte ich dazu nochmal im Krankenhaus anrufen, um zu fragen, ob Holzkohle-, Gas- oder Elektrogrillgeräte erlaubt sind. Wahrscheinlicher ist aber, dass ich mit der Plazenta das mache, was ich immer mache, wenn im Lieferumfang meiner Bestellungen zusätzliche Artikel enthalten sind, mit denen ich nichts anfangen kann: Ich verlege und vergesse sie.
Während vermehrt Wettangebote aller „5 Euro auf immerabgelenkt platzt“ bei mir eingehen, bin ich noch immer hier, noch immer rund, runder denn je zuvor. Statt Wehen spüre ich etwas sehr Unheimliches und das mehr bei anderen als mir selbst. Vor einigen Wochen erntete ich noch Komplimente auf offener Straße und strahlende Blicke, die zu sagen schienen: „Oh, das Wunder des Lebens! Schwangere sind ja sooo schön! So, so, so SCHÖN!“ Jetzt sehen mich Menschen an, wie die tickende Bombe, die ich nun einmal bin.
Als ich in ein Taxi stieg, wanderte der Blick des Fahrers von meinem Gesicht zum Bauch, wieder zum Gesicht, wieder zurück zum Bauch, mal kurz auf die Straße und dann wieder zu meinem Bauch und wieder zu meinem Kopf, um sich an Hand meines Gesichtsausdrucks zu versichern, dass ihm nicht gleich eine Ladung Fruchtwasser die Polster versaut. Seine Irritation wurde noch ein bisschen doller als die Adresse, die ich ihm nannte, nicht die eines Krankenhauses war.
In meinem liebsten Wellness-Sauna-Spa-Tempel erhielt ich statt der üblichen „Angenehmen Aufenthalt“-Grußformel diesmal den Ratschlag: „Vorsichtig mit dem Kaiserbad. Das kann Wehen auslösen“ und dazu ein gequältes Lächeln, bei dem Gebete mitschwangen, es möge doch bitte, bitte nicht hier passieren. Dabei denke ich mir, dass die Putzkräfte sicher schon viel Schlimmeres beseitigen mussten.
Und auch im Gesicht des Barkeepers, der mir einen wunderbaren alkoholfreien Drink servierte und dabei fröhlich fragte, wie lange es noch dauert bis zur Geburt, bildeten sich gleich nach meiner Antwort („8 Tage“) kleine Schockfalten um die Augen, die sein rechtes Augenlied zum Zucken brachten. Dazu bekamen seine lächelnden Mundwinkel diesen Ausdruck, den das Gehirn sendet, wenn es ruft „Wegrennen!!!!!“.
Nur eine Personengruppe lässt mein Erscheinen völlig kalt: Grauhaarige Frauen mit den Perlenohrringen und Schnapspralinen in der Handtasche. Vielleicht liegt es an den Pralinen oder an meinem Rassisten-Rentner-Hater Blogpost. Womöglich wildere ich in meinem Zustand auch in ihrem Revier. Schließlich verbringe ich viel Zeit in Wartezimmern und gehe mitten am Tag in den Supermarkt. Oder der Anblick von entstehendem Leben, macht ihnen klar, dass nicht nur meine Bombe tickt, sondern auch ihre Zeit abläuft. Aus all diesen und keinem dieser Gründe, drängeln sich die alten Damen dieser Welt nicht nur an Kassen, sondern auch in Toilettenschlangen an mir vorbei und gucken dabei so böse, als drohte ich ihnen die Rente zu kürzen.
Und es hilft nichts gegen dieses Verhalten. Das habe ich gemerkt, als ich plötzlich an der Supermarktkasse aufschreien musste. Es war nur ein Stechen, aber ein sehr sehr unangenehmes, da unten, da wo das Baby mal durch soll. Offensichtlich hat es ein Messer dabei, oder einen Eispickel, vielleicht wird’s auch ein Igel- oder ein Einhornbaby. Das Stechen war kurz, aber so unangenehm, dass ich kurz „Au“ quiekte, heftig atmen musste und mich abstützte. Die Kassiererin griff schon nach dem Telefon („Geburt an Kasse vier, die siebzehn bitte für die zwölf“). Doch die grauen Köpfe vor mir sortierten munter weiter ihre Rabattgutscheine und studierten die Titelseiten der Gala auf dem Kassenband. Sie sahen nur kurz rüber und entschieden dann, dass das englische Königshaus aufregender war als ich.
Nach dem Stich, kam noch einer, aber dann war es auch vorbei. Ich bin immer noch nicht geplatzt und habe kein Einhorn zur Welt gebracht. Aber ich habe erkannt, wenn sich das Kleine auf den Weg macht, möchte ich doch lieber im Taxi, in der Sauna oder einer Bar sein, statt umgeben von Menschen, die mit offensichtlich sehr gut funktionierenden Blutdrucksenden Medikamenten zu gedröhnt sind.
„… das wird nur vertuscht.“ Mit dieser aufbauenden, postfaktischen Berichterstattung ermunterte mich eine meiner liebsten Freundinnen heute. Ich glaube ihr. Man bekommt nur nichts mit von den platzenden Schwangeren mit, weil es zu Hause passiert. Denn spätestens ab der 37. Woche befindet man sich in Umständen, die auch Umstandsmode zu eng lassen werden. Das erlebe ich gerade am eigenen Bauch. Der wächst gefühlt stündlich. Derweil hadere ich, ob ich ein Baby bekomme oder eine von denen sein werde, die platzt. Beides klingt nach einer ziemlichen Sauerei. Drückt mir bitte trotzdem die Daumen, dass es Option A wird.
Auch wenn Option B stressfreier sein könnte. Denn während der letzten neun Monate habe ich Dinge gelernt, die sich wohl nie wieder aus meinem Kopf löschen lassen. So sprechen und denken Schwangere in Wochen, aber nicht in KWs, wie im Bürosprech üblich, sondern in Schwangerschaftswochen. Das seltsame daran ist, dass die 27. Woche ist eigentlich Woche 26 plus irgendwas ist. Noch verwirrender: Eine Schwangerschaft dauert 41 Wochen, was nach meiner Erinnerung an den Matheunterricht in der Schule nicht gleich neun Monate ergibt.
Aber die Regeln der Mathematik sind nicht das einzige, dass in dieser Parallelwelt anders ist. Während man Müttern vorwirft sich primär in Babysprache zu artikulieren, nutzen Schwangere eine Art Steno-Code, um zu kommunizieren; zumindest im Internet. Anfangs scrollte ich mich noch durch Foren und wunderte mich, was ein Anruf bei bei der englischen Football Association bei Schwangerschaftsübelkeit helfen sollte. Aber dann lernte ich: FA ist in diesem Universum die Abkürzung für Frauenarzt bzw. Frauenärztin.
Der (und nicht die Mumu) ist kein Kosename für das weibliche Geschlecht, sondern der Muttermund. (Ja, wir Frauen haben nicht nur einen Mund sondern zwei. Den „unteren“ nutzen wir zu geheimen Absprache von Maßnahmen zur Übernahme der Weltherrschaft. Und um Babys auszuspucken.) Und ET hat nichts mit telefonsüchtigen Außerirdischen zu tun, sondern meint den Entbindungstermin. Da der nun immer näher rückt, dachte ich, ich nehme euch, liebe Blogleserlein, endlich mal mit in diese seltsame Schwangeren- und Babywelt. Und sollte ich wieder weniger zum Bloggen kommen, dann wisst ihr, dass ich doch geplatzt bin.