Ich fühle mich hin und her gerissen, reizüberflutet und so, als drehte sich die digitale Umwelt zu schnell um mich, oder bin ich es, die sich rotierend im Kreis dreht? Da haben wir’s. Ich kann es schon nicht mehr unterscheiden. Kann man es überhaupt unterscheiden? Mise en abyme!!! Oder Information Overflow. Mal wieder. Und ich bin selbst schuld an meinem Zustand. Ich hab’s nun doch getan. Obwohl ich lautstark verkündet habe Twitter zu boykottieren, habe ich mich da vor ein paar Wochen angemeldet. Ganz heimlich. Ohne hier etwas darüber zu schreiben. Aber zum Trost: auch im Kurzinformationsdienst gibt es bisher nur eine einzige Meldung von mir, die meine Resignation in weniger als 140 Zeichen ausdrückt. Mehr hatte ich zu und in Twitter bisher nicht zu sagen. Stattdessen war ich bis jetzt als Follower aktiv. Das Konzept des Verfolgens oder der Anhängerschaft hat dank sozialer Vernetzung ja so einige Umdeutung erfahren. Ganz, ganz früher waren Anhänger ja mal jene, die bei Jesus Brot und Schnaps schnorrten. Die wurden dafür dann heilig gesprochen. Beim Film Noir wird auch ständig verfolgt, aber statt heilig ist das dann eher heimlich. Richtig unheimlich finde ich Followship aber dann doch erst heute. Ich schleiche auf diesen virtuellen Pfaden jetzt einigen Freunden – die sich zu Twitter verirrt haben und ständig posten, wo sie sind, weil sie’s wohl selbst nicht mehr wissen –, Redakteuren verschiedener Nachrichtendienste (die im Grunde nur Headline mit Links zu ihren Artikeln veröffentlichen), ein paar Bloggern (die ich jetzt wohl Twittere nennen müsste) und meinen noch lebenden Lieblingsautoren (Paul Carr und Marshall McLuhan) nach um immer mitlaufender Weise, immer auf dem Laufenden zu sein. Wer wirklich auf dem Laufenden ist, hat den Fehler im letzten Satz gefunden. McLuhan verstarb pünktlich zu Beginn der Digital Nativity Ära, 1980. Trotzdem hat der einen eigenen Newsfeed. Als ob das nicht bereits verwirrend genug wäre, zwitschert ständig jemand in meine Twitter Startseite und lässt mir keine Chance mit dem Lesen nachzukommen, noch auf all die Links zu Artikel, Videos und Photos zu klicken. Am liebsten würde ich einfach laut Stopp tweeten, aber ersten geht laut nicht, alle twittern in der gleichen Lautstärke und zweitens erscheint das ja dann auch als Tweet ganz oben und schiebt eine Information nach unten aus meinem Sichtfeld. Andererseits frage ich mich, welchen Informationswert 140 Zeichen schon haben können und die Mehrheit der Meldungen stellt sich sowieso in Form kryptischer Haikus dar. Und in Haikus deuten war ich nie gut. Ich brauche mehr Information, Content, Hintergründe und Intentionen, um zu verstehen was mir mein Gegenüber mitteilen will. Schon deswegen sind meine Anbandeleien mit Männern die Fragen real und digital – und die ich deswegen kategorisch Heiko nennen, wie Haiku eben, und die, wie mir gerade klar wird, wohl Twitter erfunden haben – mit einzelnen Worten, statt ganzen Sätzen beantwortet haben, immer in den frühen Phasen des Kennenlernens gescheitert.
Im Gegensatz zu diesen heiklen Exemplaren des anderen Geschlechts, war ich von Twitter anfangs dann doch angetan. Nicht so sehr von der Möglichkeit als Zwitschernde mitzuvögeln (im Sinne von Kücken zwitschern, Vögel vögeln. Aber das versteht sich ja von selbst, muss ich euch ja nicht erklären), aber davon mir meinen persönlichen Nachrichtendienst zusammen basteln zu können. Endlich eine Zeitung ohne den überflüssigen Sportteil und dämliche Politiker- und Sekretärinnenwitze, und was soll ich bitte mit Comics von Wikingern (???), aber dafür mehr zu Amerika, Technologienachrichten und ganz viel Werbung (ich mag halt Werbung, gute, gut-gemeinte und sogar ganz grenzwertige). Endlich Nachrichten, die mich wirklich interessieren. Und über eine Twitter Kurzmeldung erfuhr ich dann tatsächlich, dass nicht nur ich diesen Traum habe und dass es hierfür noch viel bessere Lösungen gibt als das Gezwitscher, das mir da nun wirklich schon auf den Keks ging.
News360 nennt sich zum Beispiel eine App für Iphone und verwandte Technologien. Bevor ich mir das App runtergeladen habe, habe ich mir dann aber doch das Werbevideo angesehen und naja. Da ist mir was aufgefallen. Irgendwie. Weil. Eigentlich. Also wirklich und so ganz betrachtet. Mal ganz Rational gesehen. Es ist total doof, nur Informationen zu erhalten, die einen interessieren, weil man ja meistens vorher gar nicht weiß, was einen interessiert und wenn ich dem Ein-Wort-ein-Mann-Kerl gar nicht erst begegne, fällt mir ja nie auf, dass er wirklich nett lächelt, während er nicht redet und dieses Lächeln auch eine ganze Menge aussagt. Das Video, das mir zeigen sollte, dass personalisierte Nachrichten die perfekte Lösung für mich seien, verwendet als Beispiel nämlich Informationen, für die ich sonst nicht einen Blick über meine kalte Schulter übrig gehabt hätte. Und jetzt, jetzt klicke ich mich quer durchs Netz, um mehr über den Food Truck Trend zu erfahren. Da mich aber sonst weder Trucks, noch Essen auf Rädern und Fastfood sowieso nicht, interessieren, wäre diese faszinierende Geschichte einfach an mir vorbeigerauscht. Mit Tempo 200. Dabei ist DAS – also genau so etwas bescheuertes wie der Food Truck Trend – die eine Form von Information deren Wert zu oft ignoriert wird. DAS (!!!) ist Smalltalk Information und perfekter (!) als jede personalisierte Nachricht, um beim nächsten Kontakt mit schweigenden Gegenübern nicht auch stumm dazustehen. Wenn ich mich kurzfassen könnte, würde ich dazu nun tweeten. Vielleicht mach ich das noch. Aber meinen Twitterkanal verrate ich euch nicht. Den müsst ihr schon selber finden, so wie der Verfolger das sonst auch mit seinen Opfern macht. Aber zu schwierig ist es nicht, ich hinterlasse eine Spur. 😉