Erfolgreicher dank Intoleranz und Veganismus

Neulich an der Käsetheke. Ich: „Der Käse da, ist der eher mild oder eher würzig?“ Statt einer „Ja, der schmeckt so und so und passt hervorragend zu einem sommerlichen Pinot Meunier“, blafft mich die Verkäuferin an: „Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich bin Laktose-Intolerant!“ Das Wort „intolerant“ spricht sie dabei politisch-aggressiv aus, als sprechen wir hier nicht über Rohmilchprodukte, sondern unsittliche Verhaltensweisen. What I do, in so einer Situation? Ich versuche das Ganze mit einem Scherz zu überspielen: „Dann haben sie ja ihrem Traumjob!“ Doch die Verkäuferin bleibt stinkig, so wie der Käse für den ich mich dank der inkompetenten Beratung entscheide.

Man kann sich seinen Job nicht immer aussuchen, rede ich mir auf dem Heimweg ein und lese dann dort: „Ex-Veganer werden zu Metzgern.“ Was wie eine geile Headline für einen Krimi daherkommt, ist wörtlich gemeint. Die New York Times hat mal wieder den latest hipster shit in Ihrer Trendmetropole erspäht. Angeblich eröffnen immer mehr Veganer und Vegetarier Metzgereien im Städtchen. Immer mehr ist dabei allerdings eine fragliche statistische Angabe. Hier greift eher das Prinzip Eins plus Eins sind Viele. Würde man die realen Zahlen der Fleischverweigerer erheben und den Gute-Story-MetzgerInnen im Artikel gegenüber stellen, wäre die Zahl mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht exponentiell. Doch zurück zu Traumjobs für Leute die immer schon was mit tierischen Produkten machen wollten.

Bei der Vorstellung, dass VeganerInnen Schinken verkaufen, habe ich wieder die Dame an der Käsetheke vor Augen. „Wollen Sie echt eine Leiche in ihrem Mund stecken?!“ Denn sooo stelle ich mir Vegane Fleischfachverkäuferinnen vor. 

Die Einzelfall-Ex-Vegannerin-Goes-Metzgerin in den USA schlachtet aber, weil sie damit aktiv etwas gegen Massentierhaltung tun möchte und die Missstände, die sie einst vom Fleisch weg trieben. Aus Liebe zum Tier erlegt, zerlegt und verkauft sie das jetzt mit Liebe und Wertschätzung.  Mord mit Happy End, weil der Mörder ja ein Guter ist. Das irritiert mich, aber alle anderen scheinen glücklich: Die Ex-Veganerin, weil ihr liebstes Grünzeug in Wahrheit schon immer der Fleischsalat war, die NYT weil solche Storys richtig viele Klicks bringen und sogar die Kunden, die sich freuen nicht irgendwo ihrer Fleischeslust nachzugehen, sondern bei einer Ex-Vegannerin, die sogar in der Zeitung war. Bei den Schweinen bin ich mir allerdings nicht sicher, ob sie es wirklich lieber haben wertgeschätzt zu Würstchen gemacht zu werden.

Nur eins ist eindeutig: Dass der Stinkekäse, den ich während der Lektüre der NYT esse, in mir auch Intoleranzen weckt, zumindest emotionale. Es wäre in meinem Fall durchaus sinnvoll gewesen, wenn die Frau an der Theke mit Leidenschaft statt Unverträglichkeiten bei der Arbeit gewesen wäre. Vielleicht schafft sie es aber auch irgendwann noch als „Laktose-Intolerante Käsefachverkäuferin“ in die Zeitung. Bis auf immerabgelenkt.de ist sie ja nun schon gekommen.

Warum man seine Plazenta nicht pürieren sollte

 

Während der zehn Monate, die eine Schwangerschaft dauert, werden Schwangere zu Kriegerinnen im Kampf zwischen altbewährte Natur und moderne Technik. Denn man kann so eine Geburt und alles, was damit zu tun hat, mit nichts als Ein- und Ausatmen angehen oder das Arsenal moderner Möglichkeiten von Anfang bis Ende ausschöpfen. Beides geht. Nur dazwischen ist zu wenig Platz für einen wachsenden Bauch.

Wie, wo und wem man das neue Leben in die Arme presst, ist ein solches Thema, zu dem es 100 Meinungen gibt und wenig Toleranz. Man kann sich da nicht einfach in der neutralen Mitte verorten. Auch wer keinen Kaiserschnitt will, braucht einen Standpunkt dazu.  

Ob man dem Kind Konservierungsstoffe und Industriekost gefiltert in Muttermilch via den all natural Nippeln einflößt oder direkt die emotionale Connection bei ihm herstellt, dass Trost aus Flaschen kommt, ist ein zweites Diskussionsthema, mit denen man Talkshow-Abende füllen könnte.

Doch es gibt ein Thema, da funktioniert der Natur vs. Technologie/Vergangenheit vs. Zukunft Dualismus einfach nicht, aber so richtig scheint das noch keine der Streitparteien bemerkt zu haben: Beim Plazenta Smoothie.

Wie man eine Hühnersuppe aus Huhn macht und ein Kotelett aus Antibiotika, so ist der Plazenta Smoothie ein Getränk, das aus der Nachgeburt gehäckselt wird. Dazu kommt dann noch Obst, Gemüse und Eis nach Wahl und fertig ist der Kannibalen Fitness-Drink.

Die Plazenta zu verspeisen sei eine der natürlichsten Sachen der Welt, argumentieren die Plazenta-Liebhaber. Das mag sein. Darüber kann man streiten. Das stimmt eigentlich nicht. Denn diese „Naturvölkern“ auf die bei solchen Diskussionen gerne verwiesen wird, sind eigentlich Katzen oder andere Tiere. Zu finden ist eine Häufung von menschlichen Plazenta-Esserinnen vor allem in den westlichen Nationen. So richtig vintage ist am Einverleiben des Mutterkuchens in Form von Braten, Geschnetzeltes oder Lasagne also höchstens die Zubereitungsart. Aber die Nachgeburt zu kochen, ist ja gerade total out. Ist ja auch viel zu aufwendig. Hat ja auch keiner Zeit für, nach einer Geburt. Da muss es schnell gehen. So stoße ich, insbesondere auf englischsprachigen Blogs, rund um Geburt und Schwangerschaft, immer wieder auf den angesprochenen Plazenta Smoothie. Das Wort ist schon so verrückt, dass ich es immer wieder schreiben und sagen will: Plazenta Smoothie, Plazenta Smoothie, Plazenta Smoothie. Der Schauer, der mir dabei über den Rücken huscht, wird mit jedem Mal besser.

Appetit bekomme ich aber eher nicht. Das liegt nicht einmal an der besonderen Zutat des Drinks, sondern meiner Antipathie für die absolute Abnormität der Kulinarik: Dem Smoothie als solches. An einem Smoothie ist und war noch nie etwas Natürliches! Lebensmittel, die man sowieso roh zu sich nehmen will, erstmal bei 23.000 Umdrehungen pro Minute zu zerhacken ist einfach absurd. Das von jemand anderem machen zu lassen und das Obst und Gemüse dann in Plastikflaschen zu kaufen ist es erst recht. Wer noch keine oder keine Zähne mehr hat, z.B. auf Grund von Alter oder Schlägereien, muss seine Nahrung püriert zu sich nehmen. Freiwillig auf Flüssignahrung umzusteigen ist einfach nur Ausdruck einer Gesellschaft, in der der Wohlstand ein solches Maximum erreicht hat, dass die Menschen zu faul zum Kauen geworden sind.

Und was mache ich nun? Ist es möglich, dass der Anblick meiner Nachgeburt so appetitlich ist, dass ich meinen Liebsten spontan bitte den Grill anzuwerfen? Immerhin ist es meine Plazenta und nicht irgendeine. Ich erwarte also schon einen gewissen Sex-Appeal. Vielleicht sollte ich dazu nochmal im Krankenhaus anrufen, um zu fragen, ob Holzkohle-, Gas- oder Elektrogrillgeräte erlaubt sind. Wahrscheinlicher ist aber, dass ich mit der Plazenta das mache, was ich immer mache, wenn im Lieferumfang meiner Bestellungen zusätzliche Artikel enthalten sind, mit denen ich nichts anfangen kann: Ich verlege und vergesse sie.