Bullshit + Preisschild = Dekoartikel

Gefühle absoluten Kontrollverlustes und anhaltender Verwirrung sind häufig Nebenwirkungen von verbotenen oder rezeptpflichtigen Substanzen. Seit gestern möchte ich „Dekorations-Einrichtungsgeschäfte“ mit auf die Liste möglicherweise kritischer Wirkstoffe setzen. Deko-Artikel-Wohn-Verschönerungs-Läden sollten sich einem Prüfprozess unterziehen müssen, in dem die gesundheitlichen Folgeschäden für Konsumenten kritisch untersucht werden.

Ich brauchte eines dieser Dinge, die man eigentlich nicht braucht; von denen frau aber das Gefühl vermittelt bekommt, sie fehlen ihr, wenn sie sie nicht hat. Benötigt war eine Aufbewahrung für meine bunten Lidschatten-Puderdöschen, Pinselchen, Tübchen… Die Dinge, mit denen ich mich allmorgendlich als Teil der menschlichen Spezies tarne.

Meine übermenschliche Superkraft hunderte von Tabs und Aufgaben parallel zu erfassen und zu verarbeiten, begegnete gestern ihrem Kryptonit. Ich kämpfte mich durch Geschäfte an deren Türen Begriffe wie Butlers, Habitat, Depot und Zara Home mir Service, Stauraum und Heimellichkeit versprachen. Doch drinnen erwartete mich ein Tornado-gleicher Information Overflow.

Ich wollte doch bloß ein Ding mit einem Deckel; verlor aber zwischen Deko-Gedöns und funktionsfreien Möbelzusätzen auf möbelartigen Ablage-Tisch-Schrank-Hänge-Steh-Sitzgelegenheiten völlig den Überblick. An allem hing ein Preisschild und damit war alles eine mögliche Lösung für mein erst im Laden zu erkennendes Einrichtungsdefizit. Ich hörte stimmen in meinen Kopf, die daran zweifelten, wie ich so Leben konnte, wie ich lebte, ohne all dieses Zeug.

Im dritten Shop musste ich einsehen, dass es das Ding mit dem Deckel, das ich wollte nicht gibt, zumindest nicht als Ding mit Deckel. Bei Habitat lernte ich, dass Dosen mit Deckel out sind. Bei Butlers, dass ich mich erstmal auf Farbe und Form festlegen musste und von mir neben Geld auch die Bereitschaft verlangt wurde, mich auf etwas „total niedliches“ einzulassen. Bei Depot kam ich nicht durch die 50%-Rabatt-Jäger in die Badezimmer-Ecke durch und bei Zara Home lernte ich dann, dass ich nicht eine Lösung brauche, sondern mindestens sieben. Für Wattebäuschchen gibt es beispielsweise eigene Unterkünfte, mit Deckel!

Auf meine Frage, ob ich das nicht nutzen könnte, um mein ganzes Zeug reinzuschmeißen, erhielt ich einen sehr irritierten Blick. Als ich dann fragte: „Wie groß sollte so eine Box für Wattebäuschen denn sein?“, ließen die Zweifel an meiner Zurechnungsfähigkeit nach. Die Verkäuferin referierte ausführlich über die Formen und Größen von Wattebäuschen, mindestens 10 Minuten; so ausführlich, dass wir gemeinsam zu dem Schluss kamen, dass ich für die artgerechte Haltung von Wattebäuschen noch nicht geeignet bin… .

Einen Tag nach dieser Erfahrung fühle ich mich traumatisiert. Ich bin so fertig, dass ich nicht mehr vor die Tür will, raus in die Welt mit alle diese Möglichkeiten ohne Funktion. Aber auch noch zu traumatisiert, um mich online nach Lösungen umzusehen. Ich will keine Lösung für mein Problem mehr… aber stattdessen eine Therapie!

Aufruf zur Ehrlichkeit oder Wenn Schildkröten vögeln

Aktualisiert: Jetzt mit Beweisvideo! Weil, was nicht auf Youtube ist, ist nicht passiert! 

Fast täglich entdecke ich neuen Handlungsbedarf, um unsere Gesellschaft vor selbst herbeigeführten Katastrophen zu bewahren. Wollte ich all dem nachzukommen, was im Argen liegt, ich müsste noch öfter mein Berufsfeld wechseln, als ich es sowieso schon tue. Auf meiner neusten Visitenkarte stände: Hobby-Pädagogin. Wobei ich mich weniger auf die Kinder als viel mehr auf die Erwachsenenerziehung spezialisieren möchte. Echt mal liebe Eltern, hört auf den Blagen so einen Scheiß zu erzählen!

Mir ist bewusst, dass man die Kleinen, denen als Verkörperungen von Jugend symbolisch Unschuld und Naivität zugeschrieben werden, so lange vor der Realität der Welt behüten möchte, aber euer Bullshit ist dafür kein Mittel. So hörte ich erst gestern nahe eines Pferdestalles folgenden Dialog:

Kind: „Ihhh, hier stinkt es!“

Mutter: „Ja, das ist weil die Pferde sich nicht den Popo abwischen.“

Was soll aus diesem Kind mal werden? Wird es später einmal Toilettenpapier für Pferde erfinden und Huftieren Daumen an züchten?

Auffällig ist, dass Mütter und Väter dann beginnen zu lügen, wenn es in die niederen Regionen der Anatomie geht. Nur wenige Tage vor dem Pferde-Erlebnis, stolperte ich in einen Schildkrötenzoo inkl. Schildkrötenzüchtungsinstitut. Diese Pflicht nahmen die Tiere sehr ernst. Ich hatte einen langweiligen Spaziergang erwartet mit gelegentlichem Betrachten unterschiedlicher Exemplare, die in der Sonne liegen. Meine Vorurteile gegenüber Schildkröten wurden den Tieren nicht gerecht. Tatsächlich wurde in fast jedem der hübsch gestalteten Gehege aufs Heftigste gepoppt. Und das nicht immer nur zu zweit. Und das nicht leise! So eine vögelnde Schildkröte möchte man nicht zum Nachbarn haben!

Diesem animalischen Treiben sah nun nicht nur ich zu, sondern auch eine Kleinfamilie mit einem Mädchen um die 7-8 Jahre. Während die junge Dame dem Spektakel kritisch zusah und in ihrem Gehirn nach möglichen Erklärungen für das Verhalten der Tiere suchte, erläuterte die Mutter bereits: „Die oberen Schildkröte ist so müde und will sich von der unteren tragen lassen. Deswegen stöhnen die auch so.“ Als ob, liebe Mutter. Der Vater hielt das Geschehen derweil begeistert mit der Kamera fest.

Auf die zu den Geräuschen gehörenden Stoßbewegungen gingen sie nicht ein, aber am nächsten Gehege hörte ich sie ihre Lüge wiederholen: „Guck mal, die sind auch gaaaanz müde.“ Die Schildkröten wurden aber überhaupt nicht müde. Kaum fertig mit einer Partnerin sprangen sie prompt auf die nächste, auch zu mehreren. Beeindruckende Ausdauer für jemanden, der nur ein paar Blättchen Salat zum Frühstück hatte.

Vielleicht reagiere ich auch so erzürnt auf diese Märchen, weil ich mich erinnere, wie ich selbst als Kind meiner Mutter auf den Leim ging. Auch dies war eine Pferdegeschichte. Wir standen am Zaun einer Koppel und sahen einem Hengst zu, den unsere Anwesenheit oder einfach nur seine eigene Phantasie ganz offensichtlich erregte. Statt zu erklären, dass die körperliche Erweiterung, die da unter dem Bauch des Pferdes sichtbar wurde, ein Indikator für das Geschlecht des Pferdes war, log meine Mama: „Das Pferd bekommt grade ein Baby.“ Wäre ein anderes weibliches Exemplar des Tieres anwesend gewesen, hätte das langfristig so passieren können. Auch dann wäre aber die Formulierung „machen ein Baby“ besser gewesen. So aber dachte ich meine Kindheit über Pferdebabys sehen aus wie Penisse. Man sollte Kindern nicht so einen Scheiß erzählen. Und wenn man es schon nicht aussprechen kann, dann kann man es wenigstens zugeben. Was soll denn sonst aus diesen Menschen werden? Die Schildkröten waren nicht müde! Aber sie hätten gerne eine Zigarette für danach gehabt!