Food-Fix aus der Asche

Meine Zunge tut weh. Und mein Kopf. Letzterer vermutlich weil mein Anteriorer Cingulärer Cortex gerade enerviert neue Nerven aufbauen muss. Denn eine Erinnerungen, die in diesem dafür vorgesehen Hirnbereich seit Jahrzehnten gespeichert war, muss nun revidiert werden. Bis eben waren sich sämtliche Ebenen meines Bewusstseins der Faktizität der Aussage „Schokolade ist super“ sicher. Aber schon Thomas Mann schrieb: „Eine schmerzliche Wahrheit ist besser als eine Lüge.“ Und diese Wahrheit tut weh. Auf meiner Zunge. Wie ist Lindt nur auf die Idee gekommen Chili in Schokolade zu mischen? Nach dem Warum frage ich lieber gar nicht. Die Schöpfungsgeschichte der Seltsamkeiten, die ich in meinem Supermarkt erstehen kann, ist vermutlich ähnlich streitbar, wie die unseres Planeten. Das ist ja an sich nicht neu und mein Cortex hat längst Parameter entwickelt, die ihr helfen Lebensmittelinnovationserlebnisse zu kategorisieren und zu archivieren. Im Zweifelsfall schmeckt’s nach Hühnchen. Schmeckt wie Hühnchen funktioniert in 10 von 10 Fällen, vom seltsamsten Meerestier bis hin zum Heißes-Wasser-drauf-ist-auch-Kochen-Fertigprodukt. Vielleicht haben wir auch, dank der Hormone in unseren Lebensmitteln, einen konstanten Schwangerschaftsgeschmacksinn entwickelt und verdauen deswegen immer innovativerem Irrsinn.

Insbesondere bei Kaugummi gehen die Ideen in letzter Zeit völlig mit den Food Designer durch. Aber Kaugummi schluckt man wenigstens nicht runter. Kreationen wie Frischkäse mit Schokoladengeschmack und Grill-Aromen aus der Tube, dann aber doch. Obwohl vom Schlucken gar nichts in der Packungsanleitung steht. Vielleicht mache ich da auch was falsch.

Ich stelle mir gerne vor, dass diese Erfindungen das Resultat kernreaktorschmelze-ähnlicher Unfälle sind. Sirenen heulen, roten Lampen flimmern, Töpfe schäumen über und überfluten die Produktionshallen. Und um den Laden wieder aufzubauen, beschließen die Verantwortlichen, das Fiasko-Fabrikat zu verpacken, Fettarm drauf zu schreiben (weil fettarm immer ein bisschen skurril schmeckt bzw. im Zweifelsfall nach Hühnchen) und an die Supermärkte zu liefern. Im Fall von Maggi „Raclette“ aus der Tüte, nehme ich darum an, dass hier Produktionsmaschinen mit eingeschmolzen worden sind. Denn Raclette kennen ich und mein Cortex als Tischgrill aus Eisen und Teflon. Aber Eisen soll ja gut sein, gesund und „functional“ und functional food ist noch besser als fettarm. Nur Schokolade, die ist gar nicht und funktioniert für mich vorerst nicht mehr. Denn meine Zunge brennt immer noch, als wäre sie beim Flammenmeer in der Fabrik zugegen gewesen.

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